(© Melanie Vogel) Was ist Wissen? Diese Frage wird durch den aktuellen Hype um KI – die Künstliche Intelligenz – immer wichtiger, denn sie vermittelt uns das Gefühl, hier würde eine echte Konkurrenz zum Menschen herangezüchtet. Doch dem ist (noch) nicht so. Eine KI weiß praktisch nichts! Wie komme ich zu dieser Aussage? Wir Menschen erlangen Wissen, indem wir Daten (sämtliche Reize im außen) zu strukturierten Informationen verarbeiten und diese strukturierten Informationen mit unseren Erfahrungen abgleichen. Das tun wir – optimalerweise – in einem wachen und selbstreflektierenden Bewusstseinszustand. Wissen ist daher mit Erfahrung getränkte Information. Allerdings ist dieses Wissen noch passiv – es sind zunächst Erkenntnisse, die wir erlangen. Aktiv wird das Wissen, wenn wir den Erkenntnissen Taten folgen lassen.
Warum ist diese Unterteilung wichtig?
Wenn wir den Erkenntnisprozess verfolgen, so unterstützt uns eine KI als Werkzeug bis maximal zur zweiten Ebene der Pyramide. Sie liefert uns – im besten Fall – strukturierte Daten, aber KEIN WISSEN!
Eine KI verfügt nicht über einen wachen und selbstreflektierenden Bewusstseinszustand. Daher weiß sie nichts – und sie kann auch nichts. Zumindest nicht mehr, als Daten (Rohmaterial) verarbeiten und bestenfalls dann strukturierte Informationen ausspucken. Ob diese aber richtig sind oder nicht, müssen wir auf menschlicher Seite überprüfen.
Weil einer KI das Bewusstsein fehlt, kann sie eines definitiv nicht selbst erzeugen: Aha-Momente! Diese wiederum sind aber wichtig, wenn es darum geht, den Erkenntnishorizont zu erweitern, kreativ und erfinderisch zu werden und innovativ Gegenwart und Zukunft zu gestalten. Aha-Momente sind frisch geschlüpfte Erkenntnisse, die sich aus uns und unseren bewussten und unbewussten mentalen Gedankengängen herausgewunden haben.
Aha-Momente brauchen den Menschen
Zur Generierung dieser Aha-Momente braucht es den Menschen und seine Fähigkeit, zu denken, zu erfahren, zu fühlen und zu verbinden. Die KI ist auch hier maximal nur ein Werkzeug, das Aha-Momente triggert oder kreative Prozesse durch kluges Prompten unterstützt. Die KI selbst wird diese Aha-Momente aber selbst niemals erkennen und mit Umsetzungsenergie füttern können.
Ich finde es wichtig, dass wir uns das bewusst machen und bei aller Faszination darüber, was die KI “kann” nicht vergessen, dass ihr Können dem einer erweiterten Suchmaschine gleicht: Sie greift Daten ab, die zu unserem Prompt passen und spuckt diese – unüberprüft auf Richtigkeit, Sinnhaftigkeit und Kontextbezogenheit – aus.
Bevor also Jobs an eine KI ausgelagert werden, so wie es viele Unternehmen aktuell gerade planen, wäre es sicherlich sinnvoll, das implizite Wissen der Mitarbeitenden, die diese Jobs gerade aktuell ausführen, abzufragen. Implizites Wissen ist das Wissen, das auf Erfahrungen, Können und stillschweigendem Denken und Lernen basiert.
Stillschweigendes Denken und Lernen ist Wissen, das niemand dokumentieren oder artikulieren kann, weil es einfach da ist. Über die Jahre gewachsen, durch Versuch und Irrtum erlangt, von anderen abgeschaut und im Dialog erworben – ohne, dass uns diese Lern- und Erfahrungsprozesse wirklich bewusst sind. Eine KI wird dieses implizite Wissen nicht ersetzen können – und sie generiert selbst auch kein solches Wissen. Das wenigstens sollte man wissen.
Dazu eine kleine Anekdote:
Mitte der 1850er Jahre stellten Astronomen fest, dass die Umlaufbahn des Planeten Uranus nicht den Gesetzen der Physik entsprach. Der französische Astronom, Alexis Bouvard, vermutete als Grund dafür einen bisher unbekannten Einfluss, der die Umlaufbahn von Uranus beeinträchtigte. Die Astronomen begannen nun also, den Himmel nach möglichen Störfaktoren abzusuchen und schon bald entdeckte der Franzose Urbain Le Verrier den Übeltäter – und nannte ihn Neptun.
Zwar wurde die Unstimmigkeit der Umlaufbahn dank wissenschaftlich erfasster Daten erfasst, doch die Lösung für das Problem bestand nicht in der Generierung von noch mehr Daten – sondern im Beobachten und Schlussfolgern.
In ihrem aktuellen Buch „Decision-Driven Analytics: Leveraging Human Intelligence to Unlock the Power of Data“ stellen die Professoren und Verhaltensforscher Bart De Langhe und Stefano Puntoni daher die Idee in Frage, dass unsere Entscheidungen allein auf Daten basieren sollten. Sie argumentieren vielmehr, dass die Macht der Daten nur ausgeschöpft werden kann, wenn Daten in den Hintergrund gerückt werden.
Mit anderen Worten: Daten und Informationen sind die Grundlage, aber neue Erkenntnisse erlangen wir erst, wenn wir anfangen, zu wissen. Und damit sind wir zum Ausgangspunkt dieses Artikels und zu der Frage zurückgekehrt: Was ist Wissen?