Künstliche Intelligenz und die „Trägheit am Steuer“

(© Melanie Vogel) Die Integration generativer KI-Modelle wie GPT-4 in wissensintensive Arbeitskontexte zeigt ein paradoxes Bild: Einerseits steigt die Produktivität, andererseits birgt der technologische Fortschritt erhebliche Risiken für kritisches Denken und Eigenverantwortung. Anhand empirischer Studien, u. a. mit Beratern der Boston Consulting Group, wird deutlich, dass hochqualifizierte Fachkräfte Gefahr laufen, durch die Leistungsfähigkeit der KI in eine passive, kognitiv unterforderte Rolle zu rutschen. Dieses Phänomen – auch als „Einschlafen am Steuer“ beschrieben – stellt Unternehmen und Bildungssysteme vor neue Herausforderungen.

Einleitung

Künstliche Intelligenz (KI) hat das Potenzial, menschliche Arbeit zu transformieren. Tools wie ChatGPT übernehmen zunehmend komplexe kognitive Aufgaben, vom Texten über Datenanalysen bis hin zur Entscheidungsunterstützung. Zahlreiche Studien dokumentieren deutliche Effizienzgewinne. Doch diese Entwicklung ist ambivalent. Neuere Forschung zeigt: Wer KI nutzt, läuft Gefahr, kognitive Anstrengung zu vermeiden – mit negativen Folgen für Aufmerksamkeit, Urteilsfähigkeit und Lernprozesse.

Empirische Evidenz: Das BCG-Experiment

Eine zentrale Studie, durchgeführt mit der Boston Consulting Group (758 Teilnehmende), untersuchte, wie KI die Arbeitsleistung verändert. Die Ergebnisse sind zweischneidig:

  • Leistungssteigerung: Mit GPT-4 erledigten die Berater 12 % mehr Aufgaben, waren 25 % schneller, und die Qualität ihrer Ergebnisse stieg um über 40 % – insbesondere bei leistungsschwächeren Teilnehmenden.
  • Kognitive Trägheit: Gleichzeitig zeigte sich, dass viele Aufgaben von der KI nahezu vollständig übernommen wurden. Teilnehmende gaben Prompts ein und übernahmen die Antworten nahezu unbearbeitet – ein Muster, das auch in weiteren Studien beobachtet wurde (z. B. MIT-Studie von Noy & Zhang).
  • Grenzen der Automatisierung: Bei Aufgaben, die außerhalb der Kernkompetenz der KI lagen („jagged frontier“), war die Fehlerrate bei KI-unterstützten Beratern signifikant höher als in der Kontrollgruppe.

Diese Ergebnisse belegen eine paradoxe Dynamik: Die KI steigert messbar die Leistung – bis zu einem gewissen Punkt. Jenseits dieser Schwelle wird ihr Einsatz kontraproduktiv.

Psychologische Mechanismen: Warum Menschen mit KI „faul“ werden

Die sogenannte kognitive Entlastung ist ein bekanntes psychologisches Phänomen: Menschen neigen dazu, geistige Energie zu sparen, wenn Alternativen zur Verfügung stehen. Hochleistungs-KI verstärkt diesen Effekt, weil sie oft sofort brauchbare Ergebnisse liefert.

Fabrizio Dell’Acqua identifizierte in einem weiteren Experiment mit 181 Personalverantwortlichen einen klaren Zusammenhang zwischen KI-Qualität und Nachlässigkeit: Je besser die KI, desto geringer der menschliche Einsatz, desto schlechter das Ergebnis. Die Folge: Qualitativ hochwertige KI-Systeme reduzieren menschliches Engagement, wenn sie nicht bewusst eingebettet und kritisch hinterfragt werden.

Strategien zur erfolgreichen Mensch-KI-Kollaboration

Zwei Metaphern beschreiben Wege aus der passiven Nutzung:

  • Zentauren: Menschen und KI arbeiten arbeitsteilig. Aufgaben werden je nach Stärken systematisch verteilt.
  • Cyborgs: Mensch und Maschine verschmelzen auf operativer Ebene. Die KI unterstützt granulare Teilprozesse, während der Mensch den Gesamtzusammenhang steuert.

Beide Ansätze erfordern hohe Reflexivität, Training in Prompt Engineering und strategische Aufgabenteilung.

Empfehlungen für Unternehmen und Führungskräfte

  • Aufgaben-Scouting entlang der „jagged frontier“: Führungskräfte müssen erkennen, bei welchen Aufgaben KI zuverlässig funktioniert – und bei welchen nicht.
  • Weiterbildung und kognitive Aktivierung: Mitarbeitende benötigen Schulungen, die sie befähigen, KI kritisch zu nutzen und eigene Kompetenzen weiterzuentwickeln, statt sie zu verlernen.
  • Gestaltung von Verantwortung: KI darf nicht als Black Box fungieren. Verantwortungsbereiche müssen klar definiert bleiben.
  • Förderung menschlicher Einzigartigkeit: Kreativität, Empathie und Urteilskraft sind Differenzierungsmerkmale – und sollten bewusst gestärkt werden.

Fazit

KI ist weder per se Gefahr noch Heilsbringer. Ihr Einfluss hängt maßgeblich davon ab, wie Menschen mit ihr interagieren. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, nicht in die kognitive Passivität zu verfallen, sondern KI als Katalysator für höhere menschliche Leistung zu gestalten. Das Fenster für eine kluge Weichenstellung ist schmal. Es liegt an heutigen Entscheidungsträgern, die Bedingungen für eine produktive Koexistenz zu schaffen – und nicht die Steuerung leichtfertig der Maschine zu überlassen.

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